
True-Crime-Formate boomen. Doch in der Realität geht es um mehr als Täterprofile und Ermittlungen: Rechtspsycholog:innen analysieren, begutachten und begleiten – wissenschaftlich fundiert und mit hoher Verantwortung. Ein Überblick.
True-Crime-Formate boomen. Doch in der Realität geht es um mehr als Täterprofile und Ermittlungen: Rechtspsycholog:innen analysieren, begutachten und begleiten – wissenschaftlich fundiert und mit hoher Verantwortung. Ein Überblick.

True-Crime-Fans sind fasziniert von den dunkelsten Seiten der menschlichen Psyche. Doch was passiert jenseits der medialien Inszenierung? Wie arbeiten Expert:innen, wenn sie Täter:innen verstehen, Aussagen bewerten oder Rückfallrisiken einschätzen? Die Rechtspsychologie liefert Antworten und zeigt, wie Wissenschaft und Justiz zusammenarbeiten, um Verbrechen aufzuklären und zu verhindern. Prof. Dr. Anja Tausch, Studiengangsleiterin des Masterstudiengangs Psychologie (M.Sc.) an der SRH Fernhochschule, nimmt uns mit in den Bereich der Rechtspsychologie.
Die Rechtspsychologie beschäftigt sich damit, wie Menschen sich in rechtlichen Zusammenhängen verhalten. Sie untersucht, welche sozialen und individuellen Faktoren dazu führen, dass sich Menschen an Gesetze halten oder dagegen verstoßen. Rechtspsycholog:innen entwickeln auch Ansätze zur Vorbeugung von Straftaten und zur Behandlung von Straftäter:innen.
Innerhalb der Rechtspsychologie gibt es verschiedene Teilgebiete:
„Unsere neue Anwendungsvertiefung Rechtspsychologie und forensische Psychologie gibt einen Überblick über den gesamten Bereich der Rechtspsychologie. Weil die Gutachtenerstellung ein wichtiges Tätigkeitsgebiet von Psycholog:innen ist, wird zusätzlich der Bereich der forensischen Psychologie etwas tiefergehend behandelt“, erläutert Anja Tausch.
Rechtspsycholog:innen kommen einerseits in straf-, familien- oder zivilrechtlichen Kontexten zum Einsatz. Dort begutachten sie beispielsweise die Schuldfähigkeit oder die Rückfallgefahr von Straftäter:innen, die Glaubhaftigkeit von Zeugen, die Geschäftsfähigkeit von Personen, Risiken für Kindeswohlgefährdung oder Eltern im Hinblick auf das Sorgerecht und Umgangsregeln. Sie schätzen anhand von psychologisch-diagnostischen Methoden die Aggressionsneigung, Therapiebedürfnisse oder die Fluchtgefahr von Straftäter:innen ein, behandeln Straftäter:innen therapeutisch oder entwickeln Trainingsmaßnahmen für die Resozialisation und führen diese durch.
Rechtspsycholog:innen arbeiten darüber hinaus bei der Polizei und in der Justiz, wo sie Profile von Tätern erstellen, bei Ermittlungen und Befragungen unterstützen sowie Polizei, Richter:innen und Staatsanwält:innen zu psychologischen Aspekten schulen. Auch die therapeutische Aufarbeitung traumatischer Erfahrungen oder anderer Belastungen von Einsatzkräften kann zum Aufgabengebiet von Rechtspsycholog:innen bei Polizei und Justiz gehören.
In der Psychologie gibt es verschiedene Modelle, die versuchen zu erklären, warum Menschen Straftaten begehen.
Zu den ältesten zählen biokriminologische Ansätze. Sie gehen davon aus, dass kriminelles Verhalten durch körperliche Merkmale oder biologische Faktoren wie Genetik oder neurologische Besonderheiten beeinflusst wird. Diese Sichtweise gilt heute als problematisch, erklärt Anja Tausch: „Sie bietet kaum Ansätze, um Kriminalität vorzubeugen, und konnte wissenschaftlich nur unzureichend belegt werden.“
Andere Modelle betonen psychologische und persönliche Faktoren. Sie sehen die Ursachen kriminellen Handelns in persönlichen Lebensgeschichten und Erfahrungen. Traumatische Erlebnisse können dazu führen, dass Menschen verzerrte Denk- und Bewertungsmuster entwickeln – etwa eine geringere moralische Reife. Dann orientieren sie sich stärker an äußeren Belohnungen oder Strafen, statt ihr Verhalten selbst zu regulieren.
Darüber hinaus gibt es sozialpsychologische Ansätze, die das Verhalten im gesellschaftlichen Kontext betrachten. Sie betonen, dass soziale Beziehungen, Normen und Gruppendynamiken eine zentrale Rolle spielen. „Wenn Menschen beispielsweise das Gefühl haben, ihre Ziele mit legalen Mitteln nicht erreichen zu können, kann dies zu Frustration und Orientierungslosigkeit führen – und damit die Hemmschwelle für kriminelles Verhalten senken“, so Prof. Dr. Tausch. Auch die Entstehung sogenannter Subkulturen, also Gruppen mit eigenen Werten und Normen, die von denen der Mehrheitsgesellschaft abweichen, kann kriminelles Verhalten begünstigen. Schließlich zeigen sozialpsychologische Theorien auch, dass Kriminalität kein objektives Phänomen ist. Ob ein Verhalten als „kriminell“ gilt, hängt immer auch von gesellschaftlichen Normen, Machtverhältnissen und der Reaktion der sozialen Umwelt ab.
Psycholog:innen berücksichtigen immer mehrere Kriterien, wenn sie das Risiko eines Rückfalls einschätzen. Ein wichtiger Ausgangspunkt ist die bisherige Deliktgeschichte – also Art, Schwere und Häufigkeit der Straftaten – sowie das Verhalten während des Freiheitsentzugs, etwa die Bereitschaft zur Therapie oder der Verlauf von Behandlungsmaßnahmen.
Im Rahmen forensischer Gutachten wird außerdem der aktuelle psychische Zustand beurteilt: Liegen psychische Störungen vor? Zeigt die Person stabile Persönlichkeitsmerkmale oder Anzeichen positiver Veränderung? Bei solchen Gutachten nutzen die Psycholog:innen standardisierte psychologische Test- und Diagnoseverfahren, die individuell auf die Personen und Situationen abgestimmt werden. Diese Verfahren sind wissenschaftlich überprüft und liefern möglichst objektive und nachvollziehbare Ergebnisse.
Auch die soziale Lebenssituation nach der Haft spielt eine große Rolle. Menschen, die in ein stabiles Umfeld zurückkehren (mit unterstützenden Beziehungen, gesicherter Wohnsituation und realistischen beruflichen Perspektiven) haben deutlich bessere Chancen auf einen straffreien Neuanfang.
Rechtspsycholog:innen werden in Podcasts und Fernsehkrimis oft nur in einem kleinen Ausschnitt ihrer Arbeit gezeigt. Meist geht es dabei um die Unterstützung polizeilicher Ermittlungen mit Hilfe von Profiling oder bei der Befragung von Zeugen und Verdächtigen. Besonders in Krimis wird die psychologische Arbeit oft nicht besonders realistisch dargestellt: ihr Vorgehen erscheint eher intuitiv, Täter werden nach Stereotypen eingeordnet. Dass Kriminalpsycholog:innen wissenschaftlich fundiert und evidenzbasiert handeln, wird meist nicht deutlich.
Etwas differenzierter sind oft True Crime Podcasts, die sich mit realen Fällen beschäftigen und Tätermotive und -profile etwas genauer beleuchten. Dennoch stehen hier Spannung und Unterhaltung im Vordergrund und erfordern ebenfalls eine Vereinfachung der tatsächlichen rechtspsychologischen Tätigkeiten. Dass für forensische Gutachten umfangreiche Untersuchungen mit psychologischen Testverfahren durchgeführt, oder dass Strafmaßnahmen entwickelt, durchgeführt und überprüft werden, kommt in beiden Medien eher selten zur Sprache.
„Grundsätzlich sind diese Unterschiede aber natürlich verständlich, weil Krimis und True-Crime-Podcasts unterhalten und Menschen emotional berühren wollen“, sagt Anja Tausch. In der Praxis steht bei rechtspsychologischen Tätigkeiten aber etwas anderes im Mittelpunkt: ein wissenschaftlich fundiertes Vorgehen und ein sensibler und verantwortungsvoller Umgang mit Opfern, Täter:innen und weiteren beteiligten Personen. „Wer sich für die Psyche des Menschen interessiert, findet in der Rechtspsychologie ein spannendes und anspruchsvolles Berufsfeld.“
Wer sich näher mit Rechtspsychologie und forensischer Psychologie beschäftigen möchte, findet seit Neuestem eine entsprechende Anwendungsvertiefung im Fernstudiengang Psychologie (M.Sc.).

Marketing & Sales

ist Studiengangsleiterin für den Masterstudiengang Psychologie (M.Sc.).
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